Roboter sind schlauer, leistungsfähiger und werden die menschliche Arbeitskraft bald vollständig ersetzen - solche und andere Thesen zeichnen ein eher negativ besetztes Bild von der Zukunft der Automatisierung in Industrie und Wirtschaft. Man hört auch solche Lagerfeuergeschichten über Robotic Process Automation (RPA) immer wieder, gespickt mit Halbwahrheiten und langlebigen Mythen. Im letzten Bots & People-Podcast haben die Branchenexperten Oliver und Nico zusammen mit ihrem Gast Andreas Zehentauf die Suche nach den größten RPA-Mythen gemacht. Nachfolgend haben wir Auszüge aus dem Gespräch zusammengefasst.
RPA-Mythos Nummer 1
Alle Menschen werden arbeitslos, weil Roboter menschliche Mitarbeiter ersetzen
Andreas: Das ist wirklich ein großer RPA-Mythos für mich. Wenn man einen RPA-Bot baut, kann man selten einen ganzen Mitarbeiter automatisieren. Ein Mitarbeiter macht nicht den ganzen Tag lang dieselbe Tätigkeit in Serie, sondern hat viele andere Aktivitäten. RPA bedeutet, Schritte zu automatisieren, die den Mitarbeitern normalerweise keinen Spaß machen, wie z. B. das Kopieren und Einfügen von 200 Zeilen aus einer Excel-Tabelle. Die Tätigkeiten, die Nachdenken und Urteilsvermögen erfordern, bleiben bestehen.
RPA-Mythos Nummer 2
Roboter sind immer 100 Prozent genau
Oliver: Wenn man sich einen Prozess anschaut, den man möglicherweise automatisieren könnte, dann muss dieser an sich fehlerfrei sein. Sonst bekommt man nicht das, was der Benutzer erwartet. Auch die Fähigkeiten des Entwicklers sind entscheidend.
Nico: Aber ein Roboter führt nur aus, was ein Mensch ihm gesagt hat. Ich würde sogar sagen, dass er immer 100%ig genau ist, aber dann führt er auch fehlerhafte Gedanken eines Menschen aus.
Andreas: Ja, klassisches RPA hat auch seine Tücken. Man muss sich vorher überlegen, wie genau der Prozess ablaufen soll. Es gibt viele Ausnahmen, die man vielleicht nicht direkt abdecken kann, und ich muss mir sehr gut überlegen, wie ich das Ganze handhabe. Wenn der Roboter die Ausnahme nicht kennt, dann macht er einfach den Standard. Er ist nur so gut, wie er definiert ist.
RPA-Mythos Nummer 3
RPA-Entwickler brauchen keine Programmierkenntnisse
Andreas: Nun, für mich ist da die Desktop-Automatisierung, bei der jemand einen Bot als persönlichen Assistenten bekommt, der ihm hilft. Das zweite Thema für mich ist RPA als Teil einer größeren Initiative in Verbindung mit Workflows, OCR oder anderen intelligenten Technologien jeglicher Art. Das sind für mich zwei verschiedene Seiten. Für den persönlichen Fall brauchst du ein gewisses Verständnis dafür, was du tust, und für den größeren Fall brauchst du natürlich IT-Kenntnisse: Du musst es skalierbar aufbauen und sauber implementieren. Ich komme rein und schließe es an - ganz so einfach ist es nicht.
Oliver: Das liegt sicher auch an den Marketing-Kampagnen der RPA-Entwickler, dass es ein Low Code- oder No Code-Tool ist, das jeder ganz einfach nutzen kann. Ich kann auch bestätigen, dass es nicht so einfach ist. Ich glaube aber, dass auch jemand, der vielleicht keine Programmierkenntnisse hat, sich in ein solches Tool einarbeiten kann.
Andreas:Ja, das kann es und du kannst es auch relativ schnell lernen. Du musst kein Full-Stack-Entwickler sein. Natürlich helfen Low-Code-Formen der Automatisierung und werden in Zukunft noch besser werden.
RPA-Mythos Nummer 4
Roboter können 24/7 unbeaufsichtigt gelassen werden
Nico: Das ist auch eine der Glaubenssätze, die oft vermittelt werden: Du programmierst ihn, schließt ihn an und dann läuft er einfach im Hintergrund. Aber natürlich gibt es auch überwachte Roboter, die nützlich sein können. Wenn zum Beispiel ein Call Center-Mitarbeiter eine Datenbankabfrage machen will, um alle Beschwerden auszuspucken, dann ist das ein überwachter Roboter.
Oliver: Genau, menschliche Interaktion ist an bestimmten Stellen nicht nur nützlich, sondern auch wünschenswert. Es gibt einfach Dinge, die du den Roboter nicht alleine entscheiden lassen kann.
Andreas: Das hängt sehr stark vom Prozess ab. Es gibt viele Bots, die wirklich im Dunkeln laufen können, die im Hintergrund des Servers arbeiten. Aber natürlich muss es auch eine Überwachung und Qualitätssicherung geben.
RPA-Mythos Nummer 5
Beim Einsatz von RPA geht es immer nur um Kosteneinsparungen
Andreas:Es geht vor allem um Effizienz, und für mich sind Effizienz und Kostensenkung zwei verschiedene Dinge. Natürlich kann man mit Bots sehr gut Effizienzgewinne erzielen, aber man kann auch eine Menge anderer Dinge tun, zum Beispiel das Kundenerlebnis verbessern. Von daher würde ich den Bot nicht immer auf das Thema Einsparungen reduzieren.
RPA-Mythos Nummer 6
Automatisierung ist billiger als menschliche Arbeit
Oliver: Das kommt auch auf den Prozess an. Bei komplexen Prozessen, die sehr aufwendig zu warten sind, würde ich sagen, dass sie nicht billiger sind als ein menschlicher Mitarbeiter.
Nico: Es kann auch sinnvoll sein, einen Prozess eine Zeit lang laufen zu lassen, bevor man über eine Automatisierung nachdenkt. Den Prozess zuerst im Service Delivery Center zu optimieren und ihn dann später zu automatisieren, ist auf lange Sicht wahrscheinlich günstiger.
Andreas: Ich habe ein imaginäres Gespräch mit Walter Obermeyer im Kopf, der in deiner ersten Folge mitgespielt hat und der wahrscheinlich so etwas sagen würde wie: "Leute, ich will nicht, dass wir Menschen ersetzen. Ich will, dass meine digitalen Mitarbeiter mit euren physischen Mitarbeitern zusammenarbeiten." Ich denke, in Zukunft wird sich jeder einzelne Mitarbeiter so verändern müssen, dass er anders mit der Technologie umgehen kann.
RPA-Mythos Nummer 7
Prozessautomatisierung (Low Code) = RPA
Andreas: RPA ist überall, aber Low-Code ist breiter aufgestellt. Es gibt sehr viele Technologien, auf die man sich einlassen kann: Prozessorchestrierung, Workflows, Entkopplung von Entscheidungen... RPA ist ein Kernbaustein davon, aber ich finde, ein Workflow, der einen Prozess steuert, ist eine absolut wichtige Grundlage für die Skalierbarkeit von RPA. Process mining spielt auch eine Rolle.
Nico: Ich habe noch eine etwas provokante Frage: Ist RPA eigentlich nur eine Übergangstechnologie, bis alle Unternehmen ihre Tools so aussortiert haben, dass sie sie gar nicht mehr brauchen?
Andreas: Es ist nicht etwas für die Ewigkeit und RPA hat eine absolute Daseinsberechtigung und einen geschäftlichen Nutzen und das ist wichtig. RPA wird es für eine lange Zeit geben, sie wird wachsen, bevor irgendeine andere Technologie irgendwann dazukommt. Auf lange Sicht ist alles im Wandel.
RPA-Mythos Nummer 8
Alles kann irgendwie automatisiert werden
Oliver: Das Wort "irgendwie" allein stört mich, denn das zeigt schon den Mangel an Wissen über den genauen Prozess. Damit sind wir wieder bei dem Punkt, dass man zuerst den Prozess überprüfen sollte und dass eine Straffung am Anfang vielleicht besser ist.
Nico: Vielleicht kann ich sogar alles irgendwie automatisieren, die Frage ist nur, was dabei herauskommt. Wenn ich einen Chatbot baue, um ein Therapiegespräch zu simulieren, weiß ich nicht, ob das dem Patienten hilft.
Andreas: Ich stimme voll und ganz zu. Ich glaube sogar, dass man eine Menge tun kann. Macht das Sinn? Da gibt es für mich Fragen. Das führt zum nächsten RPA-Mythos:
RPA-Mythos Nummer 9
Wenn Prozesse automatisiert werden sollen, ist Technologie entscheidend
Andreas: Nein, es ist entscheidend, was du erreichen willst. Es ist wichtig, dass du weißt, warum es den Prozess gibt und was das Ergebnis dieses Prozesses sein soll. Und das sollte mit dem Menschen geschehen und nicht gegen den Menschen oder an ihm vorbei. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, Probleme zu lösen, und wenn du einen billigen, schnellen Weg findest, um Menschen zu helfen, dann denke ich, dass du das Richtige tust.
RPA-Mythos Nummer 10
Der Einsatz von Technologien zur Automatisierung von Prozessen ist teuer
Oliver: Manchmal kann man gar nicht messen, was teuer und was nicht teuer ist. Denn wenn ich eine Person von sich wiederholenden Aufgaben entlaste und ihr dadurch mehr Zeit gebe, darüber nachzudenken, wie sie neue Geschäftsfelder erschließen kann, dann ist das etwas, das man auf den ersten Blick nicht direkt der Automatisierung zuschreiben kann.
Nico: Und wenn du Technologien zur Automatisierung nicht mit RPA gleichsetzt, dann kann man die Anwendung eines Tools wie Mailchimp zum Beispiel auch als Automatisierung bezeichnen und das sind sehr günstige Varianten. Wenn Briefe im Voraus verschickt werden und das Ganze dann in Mailchimp automatisiert wird, dann ist das ein tolles, effizientes Projekt.
Andreas: Du musst eine Anfangsinvestition tätigen. Aber ohne Investitionen gibt es auch keinen Return on Investment. Und du weißt, was noch teurer ist: Wenn du als Unternehmen ins Hintertreffen gerätst und nicht mehr strategisch interagieren kannst, weil du den Anschluss verpasst hast.
Der Mensch steht im Mittelpunkt
Bei der Automatisierung geht es nicht nur um Kosteneinsparungen, sondern um einen sinnvollen, stetigen Wandel, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Ein gutes Management ist wichtig, um sinnvoll zu automatisieren. Und letztlich geht es immer darum, die Menschen zu unterstützen, nicht sie zu verdrängen.